Nullpunktverschiebung

von Stephan Kalhamer | 27.09.2021

Kategorie: Entscheidungskompetenz, Poker

„Meinen“ SSV verfolgte ich vergangenen Freitagabend im Zug nach Berlin sitzend. Wir sind sensationell in die Saison gestartet und spielen gegen Aue – Tabellenschlusslicht, von uns aber in der zweiten Liga noch nie besiegt. Dazu unmittelbar nach einer medienwirksamen „lauten“ Trainerentlassung angereist. Als Favorit hast du emotional mehr zu verlieren. Ich freue mich immer sehr für meine kleine geliebte Heimatstadt, wenn wir Regensburger mal Favorit sind. Das haben wir uns nun doch über einige Jahre sehr konstant erarbeitet. Ein Lieblingssatz meiner Vorträge schwingt da immer mit: Es ist das Privileg eines Champions, dass er etwas zu verlieren hat.(vgl. z.B.: http://summa.stiftungrechnen.de/verlieren-ueben-ueber-das-privileg-einen-elfmeter-schiessen-zu-duerfen/)

Nun denn. Jedenfalls führen wir nach ein paar Minuten 2:0. Das Spiel ist quasi gelaufen. Eben nicht. Aue kommt zurück und erzielt kurz vor Schluss noch den Ausgleich. Unglaublicherweise schlagen wir in den wenigen verbleibenden Sekunden nochmals zu: 3:2 und aus die Maus. Was bleibt? 3 Punkte natürlich. Über weite Strecken ein Spiel auf das man stolz sein darf. Aber auch heftige psychologische Muster an denen es weiter zu feilen gilt. Dass Aue sich nicht aufgab, ist teils deren Leistung, geht uns also nur bedingt an. Dennoch ist auch hier etwas zu tun. Man hatte die Chance, dem Gegner frühzeitig jeden Mut zu nehmen. Das spart so vieles ein, was man über die Saison noch wirklich brauchen wird, insbesondere: Kraft und Nerven.

Dass man selbst „plötzlich“ Verlustängste zeigte, prägt meine heutige Überschrift. Am Pokertisch triffst du stets deine nächste Entscheidung und versuchst diese optimal zu gestalten. Dabei spielt dein aktueller Chipstand eine Rolle. Keine Rolle darf spielen, ob sich deine finanzielle Situation gerade im Auf- oder aber im Abschwung befindet. Du hast z. B. die gleichen 10.000 vor dir liegen, egal ob diese sich eben noch aus 5.000 verdoppelt haben oder aber nur mehr die Hälfte von ehemals 20.000 darstellen! Es darf für die zweite Hälfte eines Fussballspiels nicht wichtig sein, dass man nichts mehr gewinnen, wohl aber alles zu verlieren hat. Es gibt immer nur den nächsten Laufweg, den nächsten Zweikampf und beides macht man IMMER so gut man kann. Wie eine Maschine.

Natürlich ist es menschlich, emotional zu schwanken – und es gibt super positive Effekte im positiven Lauf. Die darf man gerne mitnehmen. Als Profi muss mein persönlicher Mindestanspruch aber IMMER der einer Maschine sein. Menschelt es gerade beflügelnd, darf man gerne abheben, menschelt der Kopf aber hemmend, dann darf man sich nicht fallen lassen. Nie.

Weiter mutig sein. Weiter genau das tun, was einen in die Favoritenrolle gebracht hat. Diese gerne annehmen, stolz darauf sein, dass man hier und heute, nur mehr etwas zu verlieren hat. Das ist Gewinnermentalität. Auszustrahlen, dass der eigene Sieg hier und heute der Normalfall ist. Eine Niederlage muss eine Sensation sein. Nur für Verlierer ist eine Niederlage keine Sensation.

Psychologisch sehe ich in dem ganzen Komplex große Parallelen zu einem berühmten Experiment von Kahnemann und Tversky
(https://www.vwa-goettingen.de/assets/media/Prinzhorn_Lisa_Thesis.pdf). (…) Zur Verdeutlichung kann auch für diesen Effekt ein Beispiel von KAHNEMAN und TVERSKY herangezogen werden. Folgende zwei Szenarien sollten mit Ja oder Nein beantwortet werden:

Fall 1: Sie haben eine Kinokarte für 5 € gekauft und bemerken anschließend beim Einlass, dass Sie diese verlegt haben. Würden Sie ein neues Ticket erwerben, um den Film schauen zu können?

Fall 2: Sie betreten gerade das Kino mit der Absicht ein Ticket zu kaufen, bemerken aber beim Betreten, dass Sie 5 € unterwegs verloren haben. Würden Sie dennoch, wie vorgehabt, das Ticket erwerben?

In diesen dargestellten Fällen dreht es sich um einen quantitativ identischen Betrag, nämlich dem Verlust von 5 €. Dennoch werden beide Szenarien unterschiedlich von den Versuchsteilnehmern bewertet. Die Mehrheit hätte das Kinoticket nach dem Bargeldverlust gekauft, deutlich weniger Personen hätten jedoch nach dem Verlust der Kinokarte eine weitere erworben. Dieses Phänomen ist auf die mentale Kontoführung zurückzuführen, da beide Szenarien in unterschiedliche Kategorien (bzw. auf verschiedene Konten) eingeteilt werden. Die verlorene Kinokarte landet zum Beispiel auf dem Konto „Kino“ oder „Unterhaltung“, während das Bargeld auf ein anderes Konto verbucht wird. In Fall 1 wurde zunächst schon ein Ticket gekauft, somit wurden auf dem Konto „Kino“ 5 € verbucht. Ein erneuter Kauf einer Kinokarte ließe das „Kino“-Konto auf 10 € ansteigen. In Fall 2 wird das Kinokonto jedoch nur einmal mit 5 € belastet, während die verlorenen 5 € Bargeld auf das andere Konto verbucht werden, und somit wurde gefühlt weniger Geld für den Kinobesuch ausgegeben, sodass auf das Konto weitere Kinobesuche oder Unterhaltungsaktivitäten gebucht werden können. (…)

Was also bleibt? Egal woher man kommt, egal wohin man will, im Wettkampf gilt einfach immer nur: ich will siegen. Der Rest ist Schall und Rauch. Sollen sich doch die anderen Gedanken machen über Erwartungen, Saisonziele; was auch immer nett zu beschwatzen sein mag. Was wirklich zählt, ist klarer Fokus auf die eigentliche Profession eines jeden Einzelnen.

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